Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
Internationale Klassifikation (ICD) G12.-
Symptome Unwillkürliche Muskelzuckungen (Faszikulationen), Muskelschwund (Muskelatrophie), Muskelschwäche (Paresen), Beeinträchtigung der Sprach-, Kau- und Schluckmuskulatur, Spastische Lähmungen, Müdigkeit (Fatigue), Schlafstörungen, geistige Beeinträchtigung
Mögliche Ursachen genetische Disposition, ohne erkennbare Ursache (idiopathisch)
Mögliche Risikofaktoren SOD-1-Gen, ALS-Gen-2
Mögliche Therapien Medikamente, Gymnastik, Ergotherapie, Therapie der respiratorischen Insuffizienz
Wirkstoffe Riluzol

Grundlagen

Die Amyotrophe Lateralsklerose, auch ALS oder auf Englisch „amyotrophic lateral sclerosis“ genannt, ist eine neurodegenerative Erkrankung des zentralen und des peripheren motorischen Nervensystems. Sie geht mit einer zunehmenden Zerstörung von Nervenfasern einher. Die Erkrankung beeinträchtigt dabei die Motoneuronen, das Rückenmark, die Muskulatur und den Bewegungsapparat. 

Bei ALS erkranken sowohl das 1. zentrale Motoneuron (im Gehirn mit Pyramidenbahn bis ins Rückenmark) als auch das 2. periphere Motoneuron (im Hirnstamm und Rückenmark mit Nerven bis zu den Muskeln). Die Erkrankung der motorischen Nervenzellen im Rückenmark und ihren Fortsätzen führt dabei zu diversen Symptomen an den innervierten Muskeln (Muskelschwund, Muskelzuckungen, Lähmungen etc.). Im Verlauf der Erkrankung mischt sich meist das Bild schlaffer atrophischer Paresen (2. Motoneuron geschädigt) und spastischer Paresen (1. Motoneuron geschädigt).

(iStock / Sheila Alonso)

Häufigkeit

Die jährliche Häufigkeit der Erkrankung beträgt in Deutschland etwa 1 bis 3 Krankheitsfälle pro 100.000 Einwohner. Weltweit gibt es insgesamt zirka 150.000 dokumentierte Fälle von ALS. 6000 bis 8000 Krankheitsfälle davon entfallen auf Deutschland. Das Alter der Betroffenen bei Erstmanifestation beträgt oftmals 50 bis 70 Jahre. Bei Frauen tritt die Erkrankung im Vergleich zu Männern in einem Verhältnis von 3:2 auf. Weltweit scheint die Erkrankungshäufigkeit in den letzten Jahren leicht zuzunehmen. Das Tempo, mit dem die ALS fortschreitet, ist individuell sehr unterschiedlich, wobei die Erkrankung immer mit einer verkürzten Lebenserwartung einhergeht.

Ursachen

Die Erkrankung tritt sporadisch auf und ist nicht ansteckend, wobei ihre genaue Ursache noch unbekannt ist. Etwa 5 % der ALS-Fälle beruhen auf einer seltenen hereditären Erkrankungsform, die autosomal-dominant oder autosomal-rezessiv vererbt wird. Hier tritt die ALS dann auch in Familien gehäuft auf. Zwei Gene (SOD-1 und ALS-Gen-2) sind bisher als Auslöser bekannt.

Man unterscheidet generell drei verschiedene Formen von ALS:

  • Sporadische ALS (etwa 95 % der Fälle, Ursache unbekannt)

  • Familiär gehäufte ALS (5 bis 10 % der Fälle)

  • Endemische ALS („Western Pacific ALS” auf Inseln im Westpazifik)

Differentialdiagnosen

Verwandte Erkrankungen und Differentialdiagnosen der ALS umfassen:

  • Multiple Sklerose

  • Syringomyelie

  • Botulismus

  • Pseudobulbärparalyse

  • Multifokale motorische Neuropathie (MMN)

Symptome

Die Erkrankung betrifft fast ausschließlich das motorische Nervensystem. Oft äußert sich die ALS dabei zu Beginn mit unwillkürlichen Muskelzuckungen und Muskelkrämpfen. Sensorische Empfindungen für Hören, Sehen, Berührung, Temperatur, Schmerz etc. werden durch die ALS meist nicht beeinträchtigt. Bei einem kleinen Teil der Patienten lässt sich eine geringe Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit nachweisen. Schwere geistige Beeinträchtigungen sind demgegenüber sehr selten. Etwa 15 - 20 % der Patienten entwickeln im Laufe der Erkrankung das Bild einer frontotemporalen Demenz mit Verhaltensauffälligkeiten und kognitiven Beeinträchtigungen.

Häufige Symptome der ALS sind:

  • Unwillkürliche Muskelzuckungen (Faszikulationen)

  • Muskelschwund (Atrophie)

  • Muskelschwäche (Paresen) an den Armen, Beinen und auch der Atemmuskeln

  • Beeinträchtigung der Sprach-, Kau- und Schluckmuskulatur

  • Spastische Lähmungen

  • Fatigue

  • Schlafstörungen

Neuron (iStock / Love Employee)

Oftmals tritt die Muskelschwäche beziehungsweise der Muskelschwund zunächst nur an der Hand- beziehungsweise an der Unterarmmuskulatur einer Körperseite auf. In weiterer Folge sind dann auch die Gegenseite und die Muskulatur der unteren Extremitäten betroffen. Bei der Progressiven Bulbärparalyse treten die ersten Symptome an der Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur auf. 

Zu Beginn sind die Symptome bei Betroffenen meist nur mild ausgeprägt, die Diagnose erfolgt deshalb oftmals verzögert und nach einigen Arztbesuchen.

Diagnose

Die Diagnose der ALS sollte durch einen Nervenfacharzt (Neurologen) gestellt werden. Wichtig ist hier eine ausführliche klinische Untersuchung sowie ein einfühlsames Anamnesegespräch. 

Dinge die im Zuge der klinischen Untersuchung überprüft werden:

  • Muskelkraft

  • Muskelschwund (Atrophie)

  • Muskelzucken (Faszikulationen)

  • Muskeleigenreflexe

  • Funktion der Kau-, Sprach- und Atemmuskulatur

Eine Zusatzuntersuchung, welche die Funktion des peripheren Nervensystems (PNS) überprüfen kann, ist die Elektromyographie (EMG). Hier werden Nervenimpulse mithilfe einer Nadel untersucht. Die Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) ist eine weitere Möglichkeit, die motorische Leitfähigkeit der peripheren Nerven zu testen. Untersuchungen des Blutes, Urins und des Nervenwassers (Liquor) können zum Ausschluss entzündlicher Erkrankungen dienen, die ALS-ähnliche Symptome verursachen können. 

Die erweiterte ALS-Diagnostik umfasst eine Gendiagnostik und Muskelbiopsien.

Therapie

Die ALS kann nach dem derzeitigen Stand der Medizin weder geheilt noch ursächlich behandelt werden. Die Betreuung von ALS-Betroffenen sollte daher, wenn möglich multidisziplinär erfolgen (Neurologen, Pneumologen, Gastroenterologen etc.) mit einer spezifisch pharmakologischen Therapie, einer angepassten Hilfsmittelversorgung und einer palliativ-medizinischen Behandlung. Ein spezialisierter Neurologe sollte jedoch der Hauptansprechpartner für Betroffene bleiben und die Therapie koordinieren. Je nach Dynamik der Erkrankung sollte zumindest alle 3 bis 6 Monate eine neurologische Kontrolle erfolgen.

Das Benzothiazol Riluzol bewirkt eine Verlängerung der Lebenserwartung durch eine Senkung der Glutamat-Spiegel. Der dadurch ausgelöste Anstieg der Lebertransaminasen kann bis zu einem 5-fachen des Normalwertes toleriert werden. Zusammengefasste Daten aus ALS-Registern zeigen eine bis zu 19 Monate verlängerte Lebensdauer mit einer Riluzoltherapie. Die übliche Dosierung beträgt 2 x 50 mg pro Tag per os.

Häufige unerwünschte Nebenwirkungen von Riluzol sind:

  • Übelkeit

  • Lebertoxizität

  • Schwäche

  • Müdigkeit

  • selten Neutropenie

Symptomatische und palliative Therapie

Die symptomatische Therapie bei ALS dient dazu, Krankheitssymptome zu lindern und die Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern. Viele Aspekte gleichen dabei den Prinzipien der palliativen Therapie.

Ziele der palliativen ALS-Therapie umfassen:

  • Erhalt der Patientenautonomie

  • Erhalt der Lebensqualität

  • Frühzeitige Aufklärung nach Diagnosesicherung

  • Beratung zur Beatmungs- und Ernährungstherapie

  • Beratung zu Möglichkeiten und Grenzen der Pharmakotherapie

  • Erarbeitung einer Patientenverfügung

Weitere Therapiemodalitäten bei ALS umfassen die Krankengymnastik und Ergotherapie sowie die Therapie der chronischen respiratorischen Insuffizienz.

Prognose

Schlechte prognostische Faktoren sind:

  • Bulbärer Symptombeginn (Schluck-, Kau- und Sprechmuskulatur)

  • Niedriger BMI

Positive prognostische Faktoren umfassen:

  • Junges Alter

  • Beginn als primäre Lateralsklerose

(iStock / herraez)

Im Regelfall schreitet die Erkrankung gleichmäßig über Jahre voran, dehnt sich auf verschiedene Körperregionen aus und führt zu einer zunehmenden Atemschwäche. Die Lebenserwartung ist meist auf 3 bis 4 Jahre verkürzt. Seltene ALS-Fälle (etwa 10 %) mit einer Erkrankungsdauer von 10 oder mehr Jahren sind jedoch auch bekannt.

Durch die interdisziplinäre Behandlung kann zumeist eine hohe Lebensqualität aufrechterhalten werden. Dies führt dazu, dass in den meisten Fällen nur im Endstadium eine stationäre Behandlung notwendig ist. Die meisten Betroffenen können noch mit ALS ein erfülltes und eigenständiges Leben zuhause führen.

Weltweit wird intensiv nach neuen Behandlungsmöglichkeiten und Therapien für die ALS geforscht. So konnte beispielsweise für die Stammzelltherapie bereits Sicherheit und Machbarkeit, jedoch noch keine Wirksamkeit belegt werden. Jedenfalls ist die Hoffnung, dass es in absehbarer Zeit neue Therapiemethoden oder sogar die Heilung der Erkrankung geben könnte, berechtigt.

Redaktionelle Grundsätze

Alle für den Inhalt herangezogenen Informationen stammen von geprüften Quellen (anerkannte Institutionen, Fachleute, Studien renommierter Universitäten). Dabei legen wir großen Wert auf die Qualifikation der Autoren und den wissenschaftlichen Hintergrund der Informationen. Somit stellen wir sicher, dass unsere Recherchen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren.
Dr. med. univ. Moritz Wieser

Dr. med. univ. Moritz Wieser
Autor

Moritz Wieser hat das Studium der Humanmedizin in Wien absolviert und studiert derzeit Zahnmedizin. Er verfasst vorrangig Artikel zu den häufigsten Krankheiten. Besonders interessiert er sich für die Themenbereiche Augenheilkunde, Innere Medizin und Zahnmedizin.

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