Chinin

Chinin

Grundlagen

Chinin ist ein Wirkstoff, der gegen Parasiten wirkt (antiparasitär), eine muskelentspannende (Muskelrelaxans) und fiebersenkende (antipyretische) Wirkung hat und zur Gruppe der Malariamittel gehört. Chinin hat außerdem eine leicht schmerzlindernde Wirkung. Es wird zur Behandlung von akuten Malaria-Schüben und Wadenkrämpfen unbekannter Ursache (idiopathisch) verwendet. Malaria wird durch Parasiten übertragen, die durch Moskito-Bisse in den Körper gelangen. Malaria ist in Afrika, Südamerika und Südasien verbreitet. Chinin sollte nicht zur Vorbeugung von Malaria genommen werden. 

Chinin wird in sehr geringen Mengen auch als Bittermittel eingesetzt, wie zum Beispiel in Tonic-Water. Chinin ist ein Alkaloid-Derivat, welches aus der Rinde des Chinabaumes gewonnen wird. Die Gruppe der Alkaloide ist in der Medizin sehr beliebt und wird oft zur Schmerztherapie eingesetzt. Die bekanntesten Vertreter sind Morphin, Opium, Heroin und Nikotin. Die Alkaloide kommen hauptsächlich in Pflanzen vor. Ein Derivat wird in der Pharmazie als ein Abkömmling bezeichnet, der mit einer Gruppe oder einem anderen Wirkstoff chemisch verwandt ist.

Als Mittel gegen Wadenkrämpfe ist Chinin umstritten und deshalb nicht in allen Ländern zugelassen.

Grafik Strukturformel des Wirkstoffs Chinin

Medikamente mit Chinin

Medikament Wirkstoff(e) Zulassungsinhaber
HO-LEN-COMPLEX Oto-cyl Tropfen zum Einnehmen Calciumcarbonat Chininsulfat Scheinmyrte (Anamirta cocculus) Pharma Liebermann

Wirkung

Chinin wird gegen Infektionen, ausgelöst von Plasmodium, dem Erreger der Malaria, eingesetzt. Es wirkt gegen die Schizonten des Plasmodiums. Schizonten sind das ungeschlechtliche Entwicklungsstadium des Plasmodium-Erregers. Die Malariaerreger wachsen in den roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und gewinnen durch den Abbau des Hämoglobins, das ist der rote Blutfarbstoff des Blutes, Energie. Durch den Abbau entsteht Ferriprotoporphyrin IX (FPPIX), das für den Malariaerreger giftig ist. Das FPPIX wird vom Malariaerreger zu ungiftigem Hämozoin umgewandelt. Chinin verhindert diese Umwandlung zu Hämozoin. Dadurch erhöht sich die Anzahl (akkumuliert) von FPPIX und es kommt zum Absterben der Erreger. Chinin wirkt gegen alle Plasmodiumarten und hat, verglichen mit anderen Medikamenten, wenig Resistenzen. 

Chinin wirkt auch gegen Wadenkrämpfe ungeklärter Ursache (idiopathisch), indem es die Refraktärzeit, also die Zeit, die eine Zelle braucht, bis sie wieder einen Reiz weiterleiten kann, am Muskel verlängert. Dadurch wird die Erregbarkeit der Zelle gegenüber Reizen reduziert und es kommt zu keinen Übererregungen (Krämpfen) mehr. Zusätzlich beeinflusst Chinin die Kalziumverteilung in der Muskelfaser, was wiederum die Reizschwelle für eine Muskelreaktion erhöht. Es braucht somit einen stärkeren elektrischen Impuls, um eine Muskelreaktion hervorzurufen.

Chinin wird auch als Zusatz bei Medikamenten zur Bekämpfung von grippalen Infekten beigemengt, da es sowohl lokal betäubend, als auch fiebersenkend wirkt. 

Durch die Zunahme von Resistenzen der Erreger gegen das effektivere und weniger toxische Chloroquin, wird Chinin heutzutage wieder öfter eingesetzt.

Aufgrund des bitteren Geschmacks wird Chinin in kleinen Mengen in der Lebensmittelindustrie eingesetzt. 

Chinin wird beinahe ausschließlich über die Leber, genauer über die Cytochrom P450 Enzyme (hauptsächlich über CYP3A4) abgebaut und über die Niere ausgeschieden. Zwischen 10% und 20% werden unverändert durch die Niere (renal) ausgeschieden. Chinin liegt zu 76% - 88% an Plasmaproteine gebunden vor. Die Halbwertszeit von Chinin, also die Zeit, die vergeht, bis die Hälfte des Medikaments ausgeschieden wird, beträgt ungefähr 18 Stunden.

Dosierung

Nehmen Sie Chinin immer genau wie in der Packungsbeilage beschrieben bzw. genau nach Absprache mit Ihrem Arzt ein.

Die übliche Dosis zur Behandlung von Malaria ist 648 mg als Tablette, alle 8 Stunden, 7 Tage lang

Die empfohlene Dosis zur Behandlung von Wadenkrämpfen sind 200-400 mg pro Tag. Es kann bis zu 4 Wochen dauern, bis die Anzahl der Wadenkrämpfe weniger wird. Alle 3 Monate sollte die Behandlungsnotwendigkeit in Absprache mit dem Arzt überprüft werden.

Nebenwirkungen

Bei der Einnahme von zu hohen Dosen Chinin kann es zu einer Chininvergiftung mit folgenden Symptomen kommen:

  • Schwindel
  • Erbrechen
  • Ohrensausen
  • Sehstörungen
  • Schädigungen des Sehnervs bis hin zur Erblindung
  • Erregungszustände
  • Zyanose
  • Herztod durch Herzrhythmusstörungen (Long QT-Syndrom)
  • Tod durch Atemlähmung

Die tödliche Dosis Chinin liegt bei 8-10 g!

Eine Chininvergiftung kann mit der Gabe von Aktivkohle, Natriumsulfat sowie geeigneter Benzodiazepine, wie zum Beispiel Diazepam, behandelt werden. 

Es kann zu folgenden Nebenwirkungen kommen:

Sehr häufig:

  • Bauch- und Magenkrämpfe
  • Durchfall
  • Übelkeit und Erbrechen

Gelegentlich:

  • Agranulozytose (verringerter Anzahl von Granulozyten (Teil der weißen Blutkörperchen))
  • Leukopenie (verringerte Anzahl von Leukozyten (Teil der weißen Blutkörperchen))
  • Thrombozytopenie (verringerte Anzahl von Blutplättchen)
  • Schwarzer oder blutiger Stuhl
  • Blut im Urin
  • Hypoglykämie (Unterzuckerung)

Selten:

  • hämolytisch-urämisches Syndrom
  • Nierenfunktionseinschränkung
  • Fieber und Schüttelfrost
  • vermehrte Schweißbildung
  • Muskelschmerzen
  • Hypoprothrombinämie (Gerinnungsstörung)
  • Überempfindlichkeitsreaktionen
  • Sehstörungen wie Farbwahrnehmungsstörungen, Doppeltsehen oder Nachtblindheit
  • Tinnitus (unerwünschtes Ohrgeräusch, meist ein Pfeiffen)
  • Schwindel

Sehr selten:

Wechselwirkungen

Arzneimittel, welche von sich aus häufiger unerwünschte Herzrhythmusstörungen hervorrufen, dürfen nicht mit Chinin kombiniert werden. 

Dazu zählen:

  • Medikamente zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen wie zum Beispiel Antiarrhythmika der Klasse Ia und III
  • Medikamente zur Behandlung psychischer Krankheiten wie zum Beispiel Neuroleptika, tri- und tetrazyklische Antidepressiva
  • bestimmte Antibiotika (Makrolid-Antibiotika, Fluorchinolone, Imidazol-Antimykotika)
  • Antimalariamittel
  • Medikamente zur Chemotherapie (Arsentrioxid)
  • Medikamente zur Behandlung von Allergie (nicht-sedierende Antihistaminika)
  • starke Schmerzmittel (Opioide)

Die Wirkung folgender Arzneimittel können durch Chinin verstärkt werden:

  • Digitalis-Präparate
  • muskelentspannende Medikamente (Muskelrelaxantien)
  • Medikamente zur Blutverdünnung (Antikoagulantien)

Medikamente, die zur Neutralisation von Magensäure (Antazida) eingenommen werden, können die Chininaufnahme im Darm vermindern. 

Bei der gleichzeitigen Einnahme mit anderen Chinin-haltigen Arzneimitteln kann es zu einer gegenseitigen Wirkungsverstärkung kommen. 

Harnalkalisierende Medikamente und Cimetidin können die Ausscheidung von Chinin verlängern.

Gegenanzeigen

Chinin darf in folgenden Fällen nicht eingenommen werden:

Altersbeschränkung

Zur Behandlung von Wadenkrämpfen sollte Chinin unter 18 Jahren nicht angewendet werden, da keine Daten zur Anwendung vorliegen.

Bei der Behandlung von Malaria kann Chinin ab 16 Jahren angewendet werden.

Schwangerschaft & Stillzeit

Laut Packungsbeilagen diverser Medikamente gilt für Chinin: 

In der Schwangerschaft darf Chinin nicht eingenommen werden, da es schwere Fehlbildungen des Ungeborenen verursachen kann.

In der Stillzeit darf Chinin nicht eingenommen werden, da es in die Muttermilch übergeht. 

Im Falle einer Malariaerkrankung ist die Behandlung jedoch zu bevorzugen, da Wirkstoffalternativen fehlen.

Das Pharmakovigilanz - und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin (www.embryotox.de) empfiehlt daher:

Schwangerschaft

Im ersten Schwangerschaftsdrittel gibt es einige Berichte von Fehlbildungen nach Chinin-Einnahme. Zu den Fehlbildungen gehören Taubheit und Sehstörungen. Allerdings beruhen diese Berichte auf einer weitaus höheren Dosis als heute üblich. 

Im 2. & 3. Schwangerschaftsdrittel kann Chinin Wehen auslösen und zu schweren Unterzuckerungen (Hypoglykämie) der Mutter führen. 

Weil die Malariatherapie aber zu bevorzugen ist, wird im 1. Schwangerschaftsdrittel meist Chinin, in Kombination mit Clindamycin verabreicht. Im 2. & 3. Schwangerschaftsdrittel werden Artemisinin-Derivate in Kombination mit anderen Wirkstoffen verabreicht. Zur Behandlung von Wadenkrämpfen sollte Chinin nicht angewendet werden. Auf den exzessiven und regelmäßigen Konsum von chininhaltigen Getränken (z.B. Tonic-Water) sollte ebenfalls verzichtet werden. 

Stillzeit

Es gibt zwar wenig Erfahrungsberichte zur Anwendung von Chinin in der Stillzeit (30 publizierte Untersuchungen), von einem erhöhten Risiko für das Neugeborene wird aber nicht ausgegangen. In der Stillzeit ist die Malariatherapie ebenfalls zu bevorzugen. Bei einer üblicherweise kurzzeitigen Behandlung darf weiter gestillt werden.

Geschichte zum Wirkstoff

Seit einigen Jahrhunderten ist Chinin als Heilmittel der Malaria bekannt. Es wurde bereits vor 1633 angewendet. Chinin ist ein natürlicher Inhaltsstoff der Rinde des Chinabaums. Die Ureinwohner Südamerikas setzten Chinin bereits als fiebersenkendes Medikament ein.

Chemische & physikalische Eigenschaften

ATC Code C05AF01, M09AA02, P01BC01
Summenformel C20H24N2O2
Molare Masse (g·mol−1) 324,4168
Aggregatzustand fest
Schmelzpunkt (°C) 57
PKS Wert 13,89
CAS-Nummer 130-95-0
PUB-Nummer 3034034
Drugbank ID DB00468

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Thomas Hofko

Thomas Hofko
Autor

Thomas Hofko befindet sich im letzten Drittel seines Bachelorstudiums der Pharmazie und ist Autor und Lektor für pharmazeutische Themen. Er interessiert sich besonders für die Bereiche Klinische Pharmazie und Phytopharmazie.

Mag. pharm. Stefanie Lehenauer

Mag. pharm. Stefanie Lehenauer
Lektor

Stefanie Lehenauer ist seit 2020 freie Autorin bei Medikamio und studierte Pharmazie an der Universität Wien. Sie arbeitet als Apothekerin in Wien und ihre Leidenschaft sind pflanzliche Arzneimittel und deren Wirkung.

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